Die Verhaltensentwicklung kann mehr oder weniger stark von Lernprozessen beeinflußt werden. In der Wirbeltierreihe nimmt die Bedeutung des Lernens mit steigender Organisationshöhe zu.
Angeborene Verhaltensweisen = Artgedächtnis
Erlernte Verhaltensweisen = Individualgedächtnis
Als sensible Phase bezeichnet man eine Phase mit hoher Lernbereitschaft, in der äußere Faktoren das Lernen beeinflussen können.
Bsp.: Nachfolgeverhalten der Graugänse / Prägung kann nur kurz nach dem Schlüpfen erfolgen
Angeborene Verhaltensweisen
Kennzeichen von angeborenen Verhaltensweisen
Eine angeborene Verhaltensweise ist in den Erbanlagen vorgegeben und wurde durch die natürliche Selektion angepaßt.
Sie liegt mit Sicherheit vor, wenn Tiere eine hochgradig angepaßte Verhaltensweise bereits bei der ersten Durchführung in vollendeter Form zeigen. Solche Verhaltensweisen sind starr und unabhängig von Umwelteinflüssen und bei allen Individuen einer Art gleich.
Nachweis angeborener Verhaltensweisen
In Kaspar-Hauser-Experimenten wird den Tieren die Erfahrungsmöglichkeit entzogen, die eine Anpassung aufgrund von Lernen ermöglichen würde. Danach werden die Fähigkeiten der Kaspar-Hauser und die der unter natürl. Umweltbedingungen aufgewachsenen Individuen verglichen.
Entzug sozialer Erfahrungsmöglichkeiten
Dorngrasmücken werden in schalldichten Kammern isoliert aufgezogen. Somit wird verhindert, daß sie die versch. Lautäußerungen durch Nachahmung erlernen können.
Ergebnis: Bei Dorngrasmücken ist der Gesang angeboren
Entzug ökologischer Erfahrungsmöglichkeiten
Tannenameisen werden während der Aufzucht Tannen- und Laubbaumhölzer vorenthalten. Im Wahlversuch zeigten sie jedoch eine Bevorzugung der Tannenhölzer.
Ergebnis: Tannenameisen ist die Bevorzugung von Nadelhölzern angeboren.
Weitere Beispiele für angeborene Verhaltensweisen
Frosch fängt Fliegen
Grille singt ohne jemals einen Artgenossen gehört zu haben
Angeborene und erlernte Fähigkeiten
Es handelt sich dabei um Verhaltensweisen, die ausgehend von der erblichen Anlage durch individuelle Erfahrungen verbessert werden.
Bsp.: Eichhörnchen
Das Nüsseknacken können auch Eichhörnchen, die isoliert aufgezogen worden sind. Erfahrene Eichhörnchen haben diese Fähigkeit dagegen durch Versuch und Irrtum verbessert.
(Biolog. sinnvoll aufgrund der unterschiedlichen Nußarten.)
Reifung
Unter Reifung versteht man die von Lernvorgängen unabhängige Entwicklung angepaßter Verhaltensweisen, die bei ihrem ersten Auftreten noch nicht vollkommen ausgebildet sind.
Beispiele:
Kaulquappen, die unter Dauernarkose gehalten worden sind, zeigen gleich gut ausgebildete Schwimmbewegungen, wie Artgenossen gleich alte Artgenossen, die nicht unter Narkose gehalten worden sind.
Eintägige Küken treffen beim Picken schlechter als ältere Artgenossen. Durch Aufsetzen einer Prismenbrille läßt sich Lernen am Erfolg verhindern. Trotzdem picken diese Küken nach 4 Tagen genauso gut wie die ohne Brille.
Ontogenetischer Funktionswechsel und Regression
Kainogenese Sonderanpassungen von Jungtieren an die Lebensbedingungen
Bsp.: Schmetterling, der vor der Verpuppung als Raupe völlig anders lebt.
Funktionswechsel Verhaltensweisen von Juntieren treten bei erwachsenen Tieren mit anderer Bedeutung wieder auf.
Bsp.: Milchtritt junger Hunde wird zu Pfötchengeben als Beschwichtigungssignal im Erwachsenenalter / Sperren von Jungvögeln wird später Element des Balzverhaltens
Verhaltensregression Kindliche Verhaltensweisen treten zu späteren Zeitpunkten aufgrund von Altersschwäche oder mangelnder Fürsorge wieder auf
Bsp.: Alzheimer / Hospitalismus
Retardierung Stillstand der Entwicklung durch Unfall oder übertriebene Fürsorge
Neugier und Spielverhalten
Neugierverhalten
Das Neugierverhalten wird gezeigt, wenn ein neues Objekt/Reiz aus der Umwelt auftaucht. Es ermöglicht dem Tier eine Verbesserung seiner Überlebensaussichten und ein Kennenlernen seiner Umwelt.
Die Auslöser für Neugierverhalten sind unspezifisch. Es erfolgt eine schnelle Habituation, d.h. schon nach kurzer Zeit wird der Gegenstand nicht mehr beobachtet.
Spielverhalten
Spielverhalten zeigt die folgenden Merkmale:
Dem Spiel fehlt der spezifische Ernstbezug, es ist häufig auf Ersatzobjekte ausgerichtet
Bsp.: Katze spielt mit Wollknäuel / Jungfüchse wechseln beim Kampfspiel von der dominierenden zu der unterlegenen Rolle, die Beißbereitschaft ist dabei gehemmt
Einzelelemente, auch von unterschiedlichen Verhaltensweisen sind freier kombinierbar als im Ernstfall / Übertreibungen / Wdhs
Lebenswichtige Handlungsbereitschaften hemmen das Spielverhalten
Bsp.: Tiere spielen nicht bei Hunger oder Gefahr
Spielverhalten bedarf keiner Endhandlung
Bsp.: Spielverhalten bei Katzen ist beliebig oft auslösbar.
Rascher Rollenwechsel möglich (Wechsel zwischen Angreifer/Opfer)
Ansteckende Wirkung des Spielens
Ziele des Spielverhaltens:
Sicherheit über den eigenen Körper erlangen
Training der Muskulatur
Differenzierung der Sinnesorgane und des ZNS. Durch die unterschiedlichen Reizeindrücke wird Reizarmut vermieden.
Erfahrung mit den versch. Körperfunktionen
Einüben sozialer Rollen und Üben von Verhaltensweisen
Bei artspezifischen Spielen handelt es sich vorwiegend um Bewegungsspiele, in denen Kampf, Flucht, Fortpflanzung und Nahrungserwerb ausprobiert werden.
Bsp.: Beißspiele bei Raubtieren = Beißhemmung und rascher Rollenwechsel
Fortpflanzungsspiele = Gartengrasmücken balzen schon im Alter von 4 Wochen
Nahrungserwerbspiele = sind häufig auf ungenießbare Objekte gerichtet
Individualspiele sind besonders für die Anpassung an die Umwelt von Bedeutung. Sie sind besonders durch schöpferisches Verhalten und Experimentieren gekennzeichnet.
Bsp.: Junger Schimpanse lernt spielerisch Kisten und Stock zu benutzen um an die Bananen zu kommen
Ontogenese des Spielverhaltens beim Menschen:
Objektspiele am eigenen Körper
Objektspiele mit der Umgebung = Spielen mit Gegenständen, Imitation (ab 12 Monate)
Sozialspiele = Spielerisches Auseinandersetzen mit soz. Rollen
Lernen
Lernprozesse ermöglichen eine individuellere Anpassung der Individuen an die Umwelt-bedingungen als angeborenes Verhalten. Solche Anpassungen können innerhalb von Stunden erworben werden, die jederzeit wieder durch andere ersetzt werden können. Erlerntes Verhalten hat allerdings auch den Nachteil, daß es, wird es nicht wiederholt, vergessen werden kann. Erlernte Verhaltensweisen laufen, im Gegensatz zu den angeborenen, nicht gleich bei der ersten Ausführung in vollendeter Form ab.
Teilmechanismen des Lernens
Aufnahme der Information
Auswahl der Information
über die peripheren Sinnesorgane
über das ZNS
Kurz- oder langfristiges Einspeichern von Informationen
Abrufen der Information bei Bedarf
Es liegt eine artspezifische Lerndisposition vor, d.h. die Fähigkeit zu Lernen ist eng an die Bedingungen im natürlichen Lebensraum und die Lebensweise gekoppelt
Bsp.: Ratten lernen besser sich im Labyrinth zurechtzufinden als Pferde (vgl. natürlicher Lebensraum)
Verschiedene Arten des Lernens
Programmiertes Lernen
Diese Form des Lernens tritt besonders bei Wirbellosen auf, deren Verhalten weitgehend angeboren ist und nur an ganz bestimmten Stellen eine Anpassung ausschließlich durch Lernen möglich ist.
Bsp.: Grabwespe merkt sich einmal bei der morgendlichen Inspektion, wieviele Raupen sie in die verschiedenen Nester bringen muß. Danach verteilt sie ohne nochmaliges Kontrollieren; Veränderungen im Laufe des Tages werden nicht mehr bemerkt. / Biene lernt Lage der Nahrungsquelle erst kurz vor dem Wegflug.
Habituation (kurzfristig) / Gewöhnung (längerfristig)
Wird Verhalten, das keine Konsequenz hat, immer wieder durch den gleichen Reiz ausgelöst, dann lernt das Tier, daß dieser Reiz unwichtig ist. Die Habituation ist reizspezifisch . Durch einen veränderten Reiz kann das Verhalten aber dennoch ausgelöst werden.
Bsp.: Reizung einer Libellenlarve mit Lichtpunkt löst nach einiger Zeit keinen Fangschlag mehr aus, durch Antippen ist Auslösung aber dennoch möglich
Warm-up-Phase = Zunächst erfolgt bei Dishabituation durch anderen Reiz ein Ansteigen der Reaktionsintensität, bis es ebenfalls wieder zur Habituation kommt.
Bsp.: Zebrafinkenmännchen bekommt neuen Nachbarn = Aggression
Prägung
Darunter versteht man Lernprozesse, die nur in einer sensiblen Phase ablaufen können und irreversibel sind. Das Objekt einer Prägung muß ins Schema passen (Vogel kann nicht auf Elefant als Geschlechtspartner geprägt werden) und es liegt meist eine Disposition für arteigene Verhaltensweisen vor.
Sexuelle Prägung auf Geschlechtspartner (Schwule Enten)
Nachfolgeprägung bei Graugansküken nach dem Schlüpfen
Sensorisch-motorische Prägung des Gesangs bei Zebrafinken durch den Vater / kann durch Testosterongaben ausgelöst werden
Assoziatives Lernen
Wird ein neuer Reiz als Auslöser für eine bestehende Verhaltensweise gelernt, so spricht man von klassischer Konditionierung . Die zeitliches Nähe von bedingtem und unbedingtem Reiz, die Motivation und die Wiederholung sind dabei wichtige Einflußgrößen.
Licht = Pupillenerweiterung
Licht + Klingeln = Pupillenerweiterung
Klingeln = Pupillenerweiterung
Der neutrale Reiz Ton wurde zum bedingten Reiz und erzeugt jetzt auch die Reaktion
Wird eine neue Verhaltensweise an eine bestehende Reizsituation gekoppelt, so spricht man von operanter Konditionierung . Die Auftretenshäufigkeit einer zufälligen Verhaltensweise wird dabei durch positive oder negative Verstärker (Belohnung/Bestrafung) verändert.
Skinner-Box: Ratte berührt in der neuen Umgebung im Zuge des Erkundungsverhaltens einen Hebel, auf dessen Betätigung Futter abgegeben wird. Nachdem dies mehrmals geschehen ist, lernt die Ratte, daß sie sich so Futter beschaffen kann. Durch Ausbleiben der Futtergabe wird Assoziation gelöscht.
Im Labyrinthversuch sinkt die Anzahl der Fehlentscheidungen schneller, wenn die richtigen Entscheidungen belohnt werden
Nachahmung findet in der Regel nur innerhalb einer Art statt und kann nur bei Vögeln und Säugetieren beobachtet werden. Bsp.: Meisenpopulation in England hat gelernt, den Stanioldeckel der Milchflaschen zu durchpicken.
Höhere Lernleistungen
Diese setzen ein inneres Bild von der Umwelt voraus. Man spricht auch vom Lernen durch Einsicht . Dabei werden beispielsweise Werkzeuge ohne vorheriges Ausprobieren oder durch Nachahmung nach einer Zeit des Überlegens, zielgerichtet eingesetzt. Dies geschieht durch Kombination von Gedächtnisinhalten. Die Handlung wird mental vorentworfen.
Bsp.: Schimpanse / Bananen hängen an der Decke / Kisten + Stab sind im Käfig, er kennt deren Einsatzmöglichkeiten = Schimpanse überlegt sich erst die richtige Lösungsstrategie und handelt dann.
Phasen der Gedächtnisbildung und deren neurophysiologische Korrelate bei Säugetieren und dem Menschen
Gedächtnistyp |
Physiologischer Vorgang |
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Ultrakurzzeitgedächtnis |
Gesteigerte neuronale Aktivität an den Synapsen / Kann durch Elektroschocks gelöscht werden |
Kurzzeitgedächtnis |
Aufgrund von Permeabilitätsänderungen der Membran kommt es zur verlängerten Aktivität / kann durch Na- oder Cl-Injektionen gelöscht werden |
Labiles Gedächtnis |
Es kommt wiederum zu einer Verlängerung der neuronalen Aktivität, die aber jetzt auf einer Hemmung der Na/Cl-Pumpe beruht. |
Langzeitgedächtnis |
Einlagerung der Informationen erfolgt durch Veränderung von Proteinstrukturen, die die Synapsen durchgängiger machen. Schließlich bilden sich neue Vernetzungsstrukturen der Neurone durch Veränderung der Verästelungen / Einlagerung kann durch Hemmung der Proteinsynthese verhindert werden |
Die höheren Formen des Lernens werden bei Säugetieren und dem Menschen hauptsächlich durch den Cortex ermöglicht. Das Limbische System beeinflußt über die Regelung der Motivation, die Aufnahme der Reize aus der Umwelt.
Experimente:
Split-Brain-Versuch = bei Ratten wird nur eine Hirnhälfte durch künstl. Erblindung auf einer Gesichtshälfte trainiert. Die untrainierte Hirnhälfte ist danach verkümmert
Katzen werden in einer Umgebung mit ausschließlich senkrechten oder waagrechten Strichen aufgezogen = können später nur diese Stricharten wahrnehmen.
Lernen bei wirbellosen Tieren
Diese Tiere besitzen keinen Cortex. Das Lernen erfolgt ausschließlich auf einer Veränderung der Aktivität der Synapsen.
Bsp.: Neuronaler Schaltkreis bei der Meeresschnecke Aplysia
Bei dieser Schnecke können durch Berühren Reflexe ausgelöst werden. Bei dauernder Auslösung kommt es zur Habituation.
Bei dauernder Reizung des Siphons tritt Reflex des Zusammenziehens nicht mehr auf. Dieser Rückgang beruht zunächst auf einer verringerten Ausschüttung des Transmitters an der Synapse. Die Langzeithabituation hingegen beruht auf einer Verringerung der Vesikel (=aktive Zonen der Transmitterfreisetzung) in der Synapse.
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